Ich brauch was Neues!

So oder so ähnlich ging es uns doch allen schon mindestens einmal. Irgendwie haben wir (gefühlt) seid Jahren nichts neues mehr für unser Hobby gekauft. Aber es werden doch ständig neue tolle Kameras vorgestellt. Und letztens konnten wir doch das eine Foto nicht so machen wie wir es gewollt hätten, weil die Kamera doch schon alt ist. Und jetzt ist doch gerade März, im Februar gabs den Bonus, weil wir uns im letzten Jahr so reingehängt hatten.

Man wird sich doch wohl noch was gönnen dürfen! Und mit der neusten Kamera werden unsere Bilder dann viel besser aussehen, weil sie ja viel mehr kann als die Alte.
 
So rechtfertigt man dann vor sich selber (und vielleicht vor seiner Frau) warum man jetzt doch endlich die in die Jahre gekommene Knipse gegen das neue Topmodel der angestammten Marke tauschen müsse! Man recherchiert stundenlang auf einschlägigen Seiten, schaut sich Reviews an, Unboxings. Dann muss es plötzlich schnell gehen. Beim Onlinehändler des Vertrauens ist genau die eine, neue, tolle, bessere Kamera in Aktion, wenn nicht jetzt wann dann!
 
Das Konto ist geplündert, die Kamera bestellt, die Frau geschockt. Zwei Tage später, kommt mittags das E-Mail der Post. Ihr Paket wurde zugestellt. Super, toll, geil, schnell nach Hause. Der Abend ist hinüber, unsere Frau verzieht sich nach dem Nachtessen mit einem Tee und ihrem Lieblingsbuch aufs Sofa, wir verbarrikadieren uns im Büro. Zum Glück ist Freitag und morgen grösstenteils sonnig, gefühlte 21 Grad, in den Bergen schwacher Westwind. Schatz, morgen bin ich weg. Ja, ich bin draussen. Ja, in der Nähe. Nein, ich brauch dich nicht. Nein, ist ok, wirklich nicht. Ja, kannst du machen.
 
Wir möchten nicht ausschlafen. Auch nicht weil Samstag ist. Und auch kuscheln möchten wir nicht. Oder frühstücken. Wir möchten endlich los! Die Tasche hatten wir noch am Vorabend gepackt. Objektiv, Filter, Stativ, Blitz, anders Objektiv, zweiter Filter, Graukarte, Akkus, kleines Stativ und natürlich die neue Kamera. Nur die Neue, die Alte ist ja alt. Wir fahren an denselben Ort, an dem wir letztens das eine Foto nicht machen konnten. Wir richten uns ein, bauen auf. Bauen wieder ab weil es 10 Meter weiter rechts doch eigentlich besser wäre. Bauen um, weil sich das kleine Stativ irgendwie doch besser eignet.
 
So! Jetzt passt’s! Kamera ausrichten, kontrollieren. Sich ärgern das man die Bedienungsanleitung nicht wenigstens kurz durchgeblättert hat. Kann ja nicht sein das die Neue das nicht kann, die Alte konnte das doch! Ah, so, jetzt. Passt. Klick. Sieht doch schon auf dem kleinen Display viel besser aus als mit der alten Kiste. Ich hab’s doch gewusst! Noch ein Foto aus der gleichen Position, zur Sicherheit. Dann noch eins von oben, unten, links, schräg rechts.
 
Wieder daheim, hallo Schatz, ja war gut, nein ich möchte nichts trinken. PC hochfahren, (oder auch Mac), Speicherkarte einstecken, Lightroom öffnen (auch auf dem Mac), Fotos importieren. Das teure Preset vom Lieblingsfotografen anwenden, da und dort noch etwas an den Reglern drehen. Exportieren. Gespannt schauen wir uns die Fotos an. Zoomen hinein, 100%, da trennt sich die Spreu vom Weizen!
 
Aber sooo viel besser als die alten Bilder ist das jetzt auch wieder nicht. Erste Ernüchterung macht sich breit, wir öffnen auf dem zweiten Bildschirm ein Foto der alten Krücke. Zoomen auch hier auf 100%. Sieht gar nicht viel anders aus. Aber die Neue hat doch den neuen Sensor! Und den neuen Bildprozessor! Und mehr Megapixel! Und überhaupt, die ist doch NEU.
 
Aber das Objektiv ist noch das Alte. Und der Fotograf auch. Mit einer neuen, besseren Kamera machen wir nicht unbedingt auch neue, bessere Bilder. Manchmal ist das Geld in einem Fotokurs oder Objektiv besser investiert. Oder einem romantischen Abend mit der Frau. Oder Mann, wir wollen ja hier niemanden ausschliessen. Oder für die Singles unter uns, neues Futter für den Hund, wobei der ist einem sowieso immer treu, auch mit dem alten Futter.